2011-01-31

[kein Betreff]

Wisst ihr, eine der beruhigenden Sachen an unserer großen, glücklichen Twitter- oder vielleicht sogar Internetfamilie ist, dass auch ihr im Endeffekt keine Ahnung habt. Ihr bemüht euch und ihr meint es gut und jeder von uns hat ein Herz. Aber letztlich sind wir immernoch Menschen. Und wenn ihr mir auch so oft so viel näher seid als die Welt, der Menschenstrom direkt um mich herum, seid ihr dennoch ihr und ich bin ich.


Ihr steckt nicht in meiner Haut und ich nicht in eurer. Und wenn ich erzähle und dann einerseits Verständnis geäußert wird, oder aber durchaus auch gesagt wird, dass ich übertreiben würde, dann hilft es ungemein, sich vor Augen zu halten, dass ich nur einen kleinen Teil der Sache gezeigt habe. So real es für mich ist - für euch ist es das nicht. Und keiner kann über die Geschichte eines anderen urteilen, niemand.
Wenn ich hier kleine Feedback-Klickdingens einstelle, dann weiß ich, dass Leute mir (anonym, aber doch) mitteilen werden, dass sie das für Mist halten, was ich hier schreibe (traurig nur, dass mein Paranoia-Gespenst sich davon an meinem Bein dumm und dämlich rammelt, ohne sowas wär ich noch cooler). Aber, wieder: Ihr wisst nicht. Du weißt nicht. Du weißt nicht, was ich weiß und fühlst nicht, was ich fühle und selbst wenn ich es dir alles haarklein erzähle, kannst du nur nachfühlen.


Und deshalb ist es mir gerade so enorm wichtig, alle anderen Sichtweisen rauszuhalten. Mir zu vertrauen, meinem Gefühl, meiner Einschätzung der Lage. Solange ich mich nicht im Stande sehe, zu bewältigen, hilft es mir einen Scheißdreck, dass andere meinen, ich solle klarkommen. Es ist schon schwer genug, meinen inneren Zyniker zu überzeugen, dass er mich nicht verspotten soll. Die (vermutete) Meinung anderer fällt da mal einfach hinten runter.


Versteht mich nicht falsch. Das ist kein verzweifeltes "ihr seid scheiße!" und ich weiß, dass ihr okay seid. "Okay" im Sinne von "gut". Ich wollte diesen "I matter!"-Gedanken hier trotzdem mal in Worte gefasst haben.

2011-01-30

"Papa"

In dem vorherigen Post habe ich so oft "Papa" geschrieben, dass mir schlecht wird. Bei jedem "Papa" dreht sich der Magen noch ein bisschen weiter.

Ich hasse das. Dass ich dieses Wort nicht mehr einfach so denken oder fühlen oder sagen kann. Das ist ein Wort, das immer normal war. Ich bin damit aufgewachsen. Er war immer "Papa", nie "Vater".



Und jetzt passt mir das Wort nicht mehr und tut weh und mir wird schlecht, weil alles, was mit ihm zu tun hat, weh tut. Jetzt, wo er nicht mehr mein toller Papa ist. Sondern nur noch mein Vater, leider dumm und ohne Verständnis für irgendwas, was geschieht. Nur noch der Typ, der mich und meine Schwestern gezeugt hat und ansonsten so viel mehr vergeigt als richtig gemacht hat. Der Typ, der mir immer wichtiger war als ich ihm. Die erste und bislang längste unausgewogene Beziehung meines Lebens.


Ich hab nicht gewusst, dass ich irgendwann verstehen würde, warum Kinder ihre Eltern nicht mehr einfach nur lieben, sondern wütend sind und enttäuscht und verletzt.


Ich vermisse den Papa, den ich toll finden konnte und auf den ich nicht wütend war. Ich vermisse den Papa, von dem ich glaubte, dass er auch noch und erst recht toll sein würde, wenn ich erwachsen wäre. Ich vermisse den Papa, von dem ich glauben konnte, dass er mich lieb hat.


Wirklich. Du fehlst mir. Auch wenn es dich ja so nicht wirklich gab, sondern ich damals einfach nur noch nichts verstanden habe.

2011-01-29

Eine Klärung der daddy issues könnte auch die Frage klären, wo "mutig" aufhört und "nuttig" anfängt.

Erstmalig erkläre ich einen Tweet. Na dann, auf geht's.


Eine Klärung der daddy issues könnte auch die Frage klären, wo "mutig" aufhört und "nuttig" anfängt.


Soll folgendes sagen:


Ich, als sich irgendwie beschädigtes fühlendes daddy-issues-girl, darf mich gleichzeitig auch noch stolze Besitzerin ausgewachsener self-esteem-issues nennen. Minderwertigkeitskomplexe hooray.


Das war die Kurzfassung. Jetzt mal auseinandergenommen:
Warum schiebe ich das auf meinen Vater? Weil der die Aufgabe gehabt hätte, mich stark zu machen, mich zu bestätigen, mir Aufmerksamkeit und Lob für das zu geben, was ich leiste.
Verdammt, ich hatte in meinem Zimmer Gedichte auf meiner Tapete stehen, selbstgeschriebene Gedichte, mit Bleistift auf der verdammten Wand. Und der Idiot hat nicht einmal was dazu gesagt. Nicht ein einziges Mal. Er hat mir einen ganzen Sommer lang einen Kleiderschrank in mein Zimmer gebaut, war jeden Tag in meinem Zimmer mit den vollgeschriebenen Wänden. Und nicht ein einziges Mal ein "Hast du das alles selbst geschrieben? Find ich toll" oder auch nur ein stehenbleiben und aufmerksam lesen, was da steht. Kein einziges Mal.


Und so ging das ja nicht nur diesen Sommer. Sondern immer, mein ganzes Leben. Mein Vater hat mich nicht geschlagen oder missbraucht, aber er hielt es nicht für nötig, Interesse zu zeigen. Für keine von uns. Wie der erfahrene Küchenpsychologe weiß, ist der Vater für die Tochter das erste männliche Gegenüber. Klar. Mama liebt mich immer, ich war ja auch mal in ihrem Uterus und überhaupt, Mutter-Kind-Bindung-blah. Mein Vater hingegen hat mich nicht geboren oder gestillt oder was auch immer. In der Tierwelt fressen manche Väter ihre Jungen, daran muss ich immer denken. Mutterliebe erscheint mir irgendwie selbstverständlicher als Vaterliebe.


Also. Zurück zu dem, was ich sagen wollte. Ein Vater sollte seinem Kind Bestätigung geben. Für die Tochter heißt das, dass sie durch ihren Vater lernt, dass sie Wert hat. Sie, als Frau, hat Wert. Und dass ihr Wert gesehen, bemerkt wird. Wenn Papa sagt "du bist schön", braucht es ein bisschen mehr als nur einen dummen Jungen, um dem Mädchen was anderes zu erzählen. "Mein Papa findet mich schön. Ich bin schön. Und wer was anderes sagt, hat im Gegensatz zu meinem Papa keine Ahnung."


Aber wie ist das nun, wenn Papa nichts merkt. "Papa, ich war beim Friseur." "Papa, ich hab neue Klamotten an, guck mal." "Papa, ich hab ein Abendkleid an, guck mal." "Papa, ich kann tolle Gedichte schreiben. Es stehen auch welche an meiner Tapete, guck mal." "Papa, ich hab Akne, bin ich so schlimm hässlich, wie es sich anfühlt?"
Äh. Papa guckt auf seinen Computerbildschirm oder macht Mittagsschlaf und befindet es nicht für nötig, Interesse zu zeigen, einfach mal hinzugucken, wie es dem Kind geht, was es macht. Deswegen muss man ihm alle diese Sachen extra sagen. Wo andere Väter sagen, was für eine schöne, schlaue, tolle Tochter sie haben, muss ich meinen Vater erst darauf hinweisen, dass ich überhaupt da bin. Ansonsten ist der PC oder die Welt da draußen oder weiß der Geier was einfach interessanter.


Und was ist das jetzt mit "mutig oder nuttig"?
Das weiß ich halt nicht, ehrlich gesagt. Rede ich gerne über meine Brüste, weil ich tatsächlich finde, dass ich darüber reden darf und weil ich das auch will? Oder weil sich dann andere Menschen freuen und mich mögen? Andere Mädchen steigen mit jedem Typen ins Bett, weil sie hoffen, so Bestätigung zu bekommen, die Papa ihnen nicht gegeben hat. Nun, so schlimm ist es mit mir nicht, ich wäre für sowas auch viel zu unsicher, aber ich habe andere Aufmerksamkeitsbeschaffungsmaßnahmen. Und wenn ich über meine Brüste oder Mumu-Tweets twittere oder über meine Brüste rede oder weit ausgeschnittene Sachen trage oder kokettiere oder WAS ZUM KUCKUCK AUCH IMMER, dann weiß ich manchmal selbst nicht, was das eigentlich soll. Will ich das, weil ich das lustig finde und es mir Spaß macht? Mach ich das für mich? Das wäre mutig, in einer bestimmten Art und Weise, es wäre ein "ich mach was ich will, wie ich es will".
Oooooder... mach ich das, weil es die Möglichkeit bietet, dass andere mich mögen? Jeder mag Brüste. Wenn ich offenherzig (haha) mit meinen umgehe, wird das doch auch gemocht.


Aha.


Also, ich erkenne die Grenze nicht. Ich weiß nicht, wann ich mutig bin und wann nuttig. Ich weiß nicht, wie weit ich für wen gehe.


Aber ich schieb's auf meinen Vater. "Papa", du hättest da sein sollen und mir beibringen sollen, dass ich etwas wert bin. Dass ich nicht minderwertig bin. Dass es nicht mein Weltbild erschüttern muss, wenn man mich für etwas lobt. Aber jedes Mal, wenn ich für etwas gelobt werde, bringt mich das aus dem Konzept. Weil das nicht richtig erscheint. Ich kann nicht schön sein. Sonst hättest du mir das doch beigebracht, oder? Du hättest mich doch wissen lassen, dass ich schön bin und dass ich wert bin. Aber du hast mir das nicht beigebracht. Und deshalb kann's auch nicht stimmen. Die anderen mit ihren Komplimenten müssen sich irren. Oder sie wollen mich verarschen, die Ficker, sowas gemeines.


Ich bin mir sicher, dass mein Vater nicht absichtlich so ein Vollidiot ist. Da kann er (fast) nichts für. Er dachte halt, einmal abspritzen und der Rest ergibt sich von allein. Tja, das war leider ein Irrtum.


Aber auch das lehrt. "Papa", dank dir weiß ich, dass Männer, alle, bis auf die wenigen wertvollen Ausnahmen, schwach sind und unzuverlässig. Dass sie nicht nachdenken über das, was sie tun. Dass sie egoistisch sind und frau am besten lesbisch sein sollte, weil Männer Menschen zweiter Klasse sind, mit denen man nur Ärger hat. Danke, "Papa". Was würde ich nur ohne dieses Wissen tun.
(Vielleicht beziehungsfähig sein, zum Beispiel.)


Und irgendwann erzähl ich euch noch, dass ich nicht nur den Unterschied zwischen "nuttig - mutig" nicht genau weiß, sondern auch mit dem Unterschied zwischen "ich liebe jemanden, weil er toll ist" und "ich liebe jemanden, weil er mich toll findet" Schwierigkeiten habe.

2011-01-16

Der Zyniker und was er für mich tut.

In den letzten Tagen habe ich viel über den Zyniker nachgedacht, über den ich ja so geschimpft habe. Mein Zyniker, innendrin.
Neulich, da hab ich den Zyniker mal beiseite geschoben. Ich hab gefühlt und als der Zyniker schon hämisch anfing zu grinsen, die Arme verschränkte und Luft holte, um mir zu erklären, dass jeder leidet und ich selber schuld bin, wenn ich dran denke, hab ich ihn beiseite geschoben. Ich hab ihn nicht angebrüllt, ich war nicht wütend - ich war einfach besser. Überlegen. Und ich hab mir ins Gedächtnis gerufen, was ich erkenne und lerne: Mein Schmerz ist das, was zählt. Weil das das ist, was ich fühlen kann, nur ich, nur ich. Nicht relativieren, relativieren hilft nicht und ist unberechtigt. Ja, auch andere leiden und leben trotzdem. Und manche denken nichtmal drüber nach. Aber die können das, weil sie sind, wie sie sind und ich kann das nicht, weil ich bin, wie ich bin. Und wenn ich mir mal erlaube, die falsch anrührende Musik zu hören, dann ist das keine gezielte emotionale Manipulation, weil ich heulen will. Und wenn ich mir mal erlaube, an den Schmerz zu denken, dann ist das kein in Selbstmitleid baden. Man kann nicht die ganze Zeit verdrängen. Vor allem das alles nicht und vor allem ich nicht.

Und der Zyniker hat die Klappe gehalten. Irgendwann musste ich ihm nichts mehr sagen. Weil dann alles von alleine kam. Die Erkenntnisse über das sich geteilt fühlen. Andere würden sagen, ich habe meine Mitte verloren. Ja. Ich bin in mir geteilt und finde kein Maß mehr. Jeder soll sich hinterfragen - aber ich hinterfrage mich in ungesundem Maße.

Wie meine Nachforschungen in mir selbst, das Kramen in Erinnerungen und alten Gefühlsklamotten offenbarten, bin ich so geteilt, seit ich 11 oder 12 Jahre alt bin. Seitdem versuche ich mich vor etwas, das nur ein Teil von mir ist, zu rechtfertigen, und verliere. Das ist krank, das ist nervig. Und das ist seltsam.

Hallo, mein innerer Zyniker. So lange bist du also schon bei mir. Das hab ich gar nicht mitbekommen.
Du bist nämlich mitgewachsen, du hast dich angepasst, hast dir neue Aspekte dazugesucht, wie es gerade für mich passte. Ganz zu Anfang, als du erstmals da warst, warst du "der Pharisäer". So hab ich dich damals genannt, weil mir kein besserer Name einfiel zu dem Teil in meinem Kopf, der mir ständig Vorhaltungen machte. Wenn ich nachdachte, in meinem Kopf irgendeine Meinung zu etwas diskutierte, kamst du und nanntest mich "scheinheilig". Hast meine Gedanken angezweifelt und hinterfragt, wieder und wieder. Ich war verwirrt. Wenn ich über etwas traurig war, warfst du mir zuerst vor, dass ich ja nur dieses Gefühl genieße. Weils intensiv war, weils gefühlt war. Wenn ich dann einsah, dass das stimmen könnte, warfst du mir vor, ich wäre scheinheilig, weil ich um mein Genießen wüsste und trotzdem so fühlte. Und weil du ständig deine Positionen wechseltest, weil ich es dir nicht recht machen konnte, nannte ich dich "Pharisäer" - warum hast du mein Verhalten so sehr beurteilt, statt dir dein eigenes anzugucken? Meiner Meinung nach war das Pharisäer-Verhalten. Den Splitter im Auge des anderen sehen, aber den Mammutbaum im eigenen Auge unberührt lassen.

Später wurdest du anders. Ich hab dich nicht mehr "Pharisäer" genannt, ich habe sogar fast vergessen, dass es da mal einen Pharisäer in meinem Kopf gab. Du warst der kleine Teil in meinem Kopf. Es gab Momente, da konnte ich dich fast lokalisieren, wie Kopfschmerzen; hätte ich keine Haare und einen Edding gehabt, hätte ich dich manchmal auf meinem Schädel einzeichnen können. Du hast aus allem eine Geschichte gemacht.
Das war die Zeit, in der ich das erste Mal bewusst entdeckte, dass ich auch was kann, abgesehen von mir Witze merken. Ich konnte vielleicht nicht so toll singen wie meine Schwester - aber ich mochte Worte und konnte gut mit ihnen. Wenn ich Geschichten schrieb, hab ich Lob bekommen - so wie sie, wenn sie sang.
Und du warst wie ein Autor in meinem Kopf. Aber du hast keine eigenen Geschichten geschrieben. Ich glaube, du hast mir nicht mal sonderlich geholfen, wenn ich welche schrieb. Was du gemacht hast, war kommentieren. Und zwar mein Leben. Du hast alles so formuliert, dass ich das Gefühl hatte, ein Manuskript oder Notizen zu lesen. Du warst manchmal fast die Stimme aus dem Off. Ich kam mir so blöd vor, wenn ich normal vor mich hindachte oder fühlte, wie mensch das so tut und auf einmal die Stimme aus dem Off meine Gedanken druckfertig formulierte und ich mir dadurch pathetisch fühlte, weil ich doch etwas fühlte, aber nebenbei noch in der Lage war, es so zu formulieren, dass es möglichst beeindruckt. Das war geteilt, das war doch nicht ganz. Dabei soll man bei manchem konzentriert, dabei sein, ganz sein. Bei (manchen) Gefühlen, zum Beispiel. Aber ich konzentrierte mich nicht, ich war nicht ganz, weil du ja auch noch redetest und ich dir zuhörte.
Wenn ich weinte, hast du das so ausgedrückt, wie es in einem Buch stehen würde. Ich kann nicht mal Beispiele formulieren, weil mich das heute noch beschämt und verwirrt, wie es mich damals schon verwirrt und beschämt hat. Aber du hast nicht aufgehört.
Wenn ich Leuten erzählt habe oder heute noch erzähle, dass da in meinem Kopf ein Kommentator sitzt, ein Teil meines Kopfes, der immer anders denkt als ich, dann haben mich manche angeguckt wie... nun ja, ich wusste, dass das verrückt klang.
Du warst sogar noch da, als irgendwann in den letzten Jahren die Überlegung da war, ob ich vielleicht den familiären Hang zu Depressionen hatte? Du hast da gesessen und mir vor Augen gehalten, dass mich das doch freuen müsste, schließlich steigert Leiden die Kreativität und das ist doch wunderbar. (Und hätte ich dir auch noch zugestimmt, hättest du mich fertig gemacht. Für meinen Pathos und meine Dummheit.)

Und jetzt? Jetzt bist du der Zyniker. Du formulierst mein Leben nicht mehr zu einem Buch, sondern wir führen Gespräche. Beziehungsweise setzt du mir deine Standpunkte vor. Lässt mich nicht aus den Augen, "Maria, benimm dich gefälligst! Reiß dich zusammen und sei nicht so wehleidig, das ist ja zum Kotzen!"
Ja, genau, Maria. Hör damit auf. Meinst du wirklich, die anderen wollen wissen, wenn und warum es dir schlecht geht? Glaubst du nicht, dass die genug mit sich selbst haben? Und du weißt doch, dass das auch wieder vorbei geht und man sich wieder besser fühlt. Morgen ist schon wieder ein besserer Tag und dann ist das hier schon wieder weit weg. Warum also jetzt so ein Drama machen und andere darin einbeziehen? Warum also jemanden behelligen, noch dazu, wenn dieser Jemand nichts daran ändern kann. Es ist deins, krieg du das klar. Sei doch mal selbstständig, krieg doch mal was hin. Winsel nicht rum. Heul nicht rum, das hilft keinem, dir am allerwenigsten, und die anderen stört es. Nimm doch bitte mal Rücksicht und sei nicht so elendig.

Aha. Und wer sagt das? Du. In mir drinnen. Eigentlich solltest du ganz leise sein. Du bist nicht mal jemand. Du bist nur ich. 
Wäre es nach dir gegangen, ginge es jemals ganz nach dir, würde ich nicht fühlen. Hätte den Gefühlen schon vor Jahren abgeschworen und würde die meiste Zeit verächtlich auf alle anderen herabsehen, nicht, weil ich besser sei, sondern weil ich meine Armseligkeit als Mensch besser durchschaut hätte als sie die ihre.

Und ich predige Authentizität und all diesen Kram, der damit zu tun hat, so natürlich und selbst zu sein wie's geht - und bin es selbst nicht. Weil ich so geteilt bin.
Weil du da bist, du, und mich so uneins mit mir selbst machst.
Wegen dir klappt das nicht. Ich stehe nicht zu meinen Gefühlen, nicht mal vor mir selbst. Ahahaha, sehr bitter.
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Und jetzt mal wieder weg vom persönlichen Gespräch mit dem Zyniker und zurück zum eigentlichen Thema: Was tut der Zyniker für mich?


Er schützt mich. Vor allem, was weh tut. Er hält es von mir weg, lenkt mich davon ab, lässt mich nicht dran denken. Indem er es lächerlich macht und mich so darin verunsichert. Ich stelle erst jetzt, wo ich mir den Zyniker so gut angucke, fest, wie oft ich einfach in einem Gedanken gestoppt habe, etwas nicht weiter gedacht habe, weil es zu sehr weh getan hätte.

Das hat es dann stattdessen am Donnerstag. Als ich den Zyniker in die Ferien schickte. Ihm sagte, dass er die Klappe halten solle. Was er dann ja auch tat. Und dann war er erstmal nicht mehr da, sondern in den Ferien. (Forrest Gumps Mutter sagt immer, Forrests Vater sei in den Ferien.) Ich saß also im Bus und dachte nach, weil ich ja sonst nichts kann, stimmte dem Zyniker nicht zu, verbot ihm den Mund. Ließ nicht zu, dass er meinen Schmerz und meine Beschädigung relativiert.
Und dann sitzt du plötzlich im Bus und weinst, ganz leise, um die anderen nicht zu stören, weil plötzlich alles weh tut und es ist egal, wo du hinschaust in deiner Seelenlandschaft ist überall immer irgendwas kaputt, irgendwas nicht in Ordnung und alles Wüste. Und dann überlegst du, aus dem Bus auszusteigen, um die anderen nicht zu belästigen, aber nein, das geht noch, nachhause gehts noch und da ist dann mein Zimmer, da bin ich sicher, da ist niemand, da kanns raus ohne dass irgendwer es bescheuert lächerlich pathetisch findet. Aber dann, zuhause, gehts gar nicht mehr bis nach zuhause. Denn sobald du in den kleinen Weg eingebogen bist, keine Menschen mehr da sind, die dich sehen und ÜBER DICH URTEILEN können, geht nichts mehr, halten die Dämme nicht mehr und überhaupt nichts hält mehr. Ab an die Weser, an den Menschen mit ihren Hunden vorbei, gucken dass keiner mehr da ist und dann alles in den Fluss schreien und heulen und wüten. Eine Viertelstunde lang. Bis schließlich der Schäferhund nach mir gucken kommt, meine Hand anstupst und dann erstmal ungestört aus dem Fluss trinkt, bei mir nochmal nach dem Rechten schaut und schließlich mit seinem Menschen weitergeht. Und dann ist das nur noch die posthysterische Leere. Nachhause gehen. Den Kopf beschämt (obwohl ich doch nicht mehr beschämt sein will) nach unten senken, wenn man an Menschen vorbei geht. Hoffen, dass man zuhause keinem über den Weg läuft. Zuhause keinem über den Weg laufen. In den Badezimmerspiegel gucken und angesichts des verheulten Etwas dort erschrecken. Schnell hoch ins Zimmer, ab aufs Bett, durchatmen, ungeplant zwei Stunden schlafen. Rest des Abends überleben in der geschafften Stimmung, die auf neue Erkenntnisse folgt.

Und das Krasse ist diese Erkenntnis: Ach so. Der innere Zyniker ist ein Selbstschutz. (Ja, da hätte der erfahrene Küchenpsychologe drauf kommen können, aber bei sich selbst funktioniert das ja eher nicht so.) Der innere Zyniker ist also ein Selbstschutz. Und wenn ich ihn weglasse, bin ich am Arsch, wenn ich ihn zum Schweigen bringe, bin ich am Arsch, sollte er irgendwann nicht mehr funktionieren, werde ich am Arsch sein.
Aber so soll das doch nicht sein.

Ich freue mich auf das Gleichgewicht, das eine Therapie hoffentlich mitherbeiführen kann. Den Zyniker jetzt in seiner guten, für mich helfenden Position zu sehen, ist ein Anfang. Ist ein erster Schritt zum Gleichgewicht, das merke ich.
Er ist nicht mehr nur ein feindlicher Teil von mir, etwas in mir, dass mich nicht versteht und dass ich immer aus mir raus haben wollte. Er will mich schützen. Er will mir helfen. Er will mir Gutes, er geht es nur leider falsch an.

Aber er ist etwas von mir. Und nicht mehr so schrecklich fremd.

2011-01-12

Das mit der Einsamkeit.

(nur so eine ungeordnete Problembetrachtung zu späten Stunden.) 
 

"Dann denkt man und das ist dumm und dann ist man auch schon typisch pathetisch am rumheulen, weil man....(...) - weil es doch kaum sein kann, dass man diese Einsamkeit so sehr verinnerlicht hat, dass man jetzt nicht da raus kann.
Aber es ist so.
Ich meine, ich rede mit M. Und statt hier zu liegen und möglichst leise zu heulen, könnte ich nach nebenan gehen und sagen, dass ich nicht klar komme. Ich könnte [Menschen] ANRUFEN, statt nur über irgendwelche Chats lustige Nachrichten zu schreiben und [erbärmlich] stundenlang auf ne Antwort zu warten. Ich könnte dich anrufen(...). Ich könnte sogar meine Mutter anrufen.
Aber ich machs nicht, the fuck knows why."
 

Also:
Ich beklage mich nicht, weil die anderen doch auch Probleme haben. Genug. Und meine eigenen sind... naja, ich lebe. Ich hab noch nie versucht mich umzubringen. Bitte, kann man sich beklagen? Bloß weils weh tut und hin und wieder fast die Luft wegbleibt. Wer kennt das nicht?

Ich verurteile mich so sehr selbst für mein Pathos, dass ich meinen [akuten] Schmerz anderen gar nicht aufdrängen will. Ich kann zwar sachlich erklären, was mir so zu schaffen macht. Aber wirklich anderen zeigen, dass und wie sehr es weh tut? Live, stereo und in Farbe? Da komme ich mir dumm vor. Ich kann nicht losgehen und sagen: "Hör mir bitte zu, ich heule jetzt gerade und es geht mir scheiße, ich brauch nur irgendwen zum Reden." Dabei wäre ich so gut wie jederzeit bereit, einem anderen zuzuhören. Warum habe ich nicht im Hinterkopf, dass ich dieses Bedürfnis genauso bei anderen anmelden kann? Und dass es vor allem Menschen gibt, die bereit sind, das zu geben - weil sie mich mögen, zum Beispiel? Menschen, die es vielleicht sogar verletzt, wenn ich mich ihnen nicht anvertraue - weil diese Vertrauensbasis doch eigentlich da ist, ich sie aber nicht nutze? 

Ich kann über alles, was weh tut, reden - solange es nicht akut weh tut.
Wenn der Schmerz akut da ist, igel ich mich ein. Verkrieche mich. Verstecke meine Wunden, damit das Rudel nicht denkt, ich sei zu schwach und müsste ausgestoßen werden, um den andern nicht zur Last zu fallen. Pathetischer Vergleich? Ja. I don't care.
(Das ist doch das Problem. Das Rudel verstößt die Leider. Oder mag sie zumindest weniger. Will man weniger gemocht werden? Nein. Verkneift man sich deshalb Sachen? Ja. Auch Sachen, die eigentlich okay sind, bei denen man aber irgendwie gelernt hat, dass man das lieber mit sich selbst klären soll? Ja.) (Darauf geh ich wannanders ein. Glaube ich. Kindheitskacke. Nicht mehr heute abend.)(Kein Vertrauen, dass die anderen trotzdem bleiben, aus Sympathie/Liebe, egal wie sehr man nervt. Aha.)


Wenn ich immer nur vermeide, das, was mein innerer Zyniker für Pathos hält, andern anzuvertrauen, komme ich nicht raus. Und bleib hocken in meinem Loch, in meinem "geh weg, ich hab kein Problem!"-Schneckenhaus.
Wenn ich immer nur verachte, was mein innerer Zyniker für Pathos hält, kann ich mir Gefühle gleich sparen. Weil mein innerer Zyniker immer mit verschränkten Armen da steht und verächtlich hinschmeißt, dass Gefühle was für Pussies sind. Er hält nie die Klappe, dieser dumme Hurensohn.

Ich heule nicht vor anderen, weil -  ich es einfach nicht mache.

Eigentlich will ich nicht so getrennt von mir selbst sein. Ich will nicht, dass es in mir einen Teil gibt, der leidet und den anderen, der ihn dafür auslacht und als "Pussy, Memme, Pathoskönigin, wehleidiger Hypochonder" beschimpft. Ich will nicht so getrennt in mir sein, ich will mich nicht so kränken, ich will mich nicht so verspotten, ich will aufhören zu relativieren. Weil das in mir weh tun darf. Das ist der ganz normale Lebensschmerz - aber eben auch mehr. Weils meins ist. ICH steck da drin.

Und ich hab alles Recht der Welt, daran zu leiden, so viel wie mir gut tut, soviel wie ich brauche. Das muss so.