Mein Vater mochte Electric Lights Orchestra, weshalb wir es auf Kassette (!) im Auto hatten und viel hörten. Und gerade wird mir klar, dass ich Electric Light Orchestra mit meinem Vater verbinde und das überhaupt nicht weh tut oder negativ ist. Das ist nett. Diese Dinge zu finden, die nicht weh tun.
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Du singst "everybody's gotta learn sometimes" und dann denkst du an deinen Vater und findest "nein, nicht unbedingt. Vielleicht." Redete neulich mit Schwester Nr.1 über Vater und sie erzählte, dass sie sich noch erinnern kann, wie ich mich früher schon darauf freute, … … mich als Erwachsene immer noch gut mit meinem Vater zu verstehen und eine tolle Vater-Tochter-Beziehung zu haben. Und ich weiß auch noch, wie ich mich darauf freute, mit meinen Kindern dann ihren Opa zu besuchen. Und ich hoffte, dass er nicht vorher an … Lungenkrebs sterben würde. Jetzt denke ich, dass meine Kinder ihren Opa nur kennenlernen werden, damit ich kein zu schlechtes Gewissen habe.
Irgendwann rufe ich ihn an und erzähle ihm, was für ein blöder Versager er ist. Was für ein Idiot. Irgendwann kann ich das.
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Erst die positiven Gedanken.
Es ist nett, wenn mich etwas an meinen Vater erinnert, ohne das "dieser verdammte Idiot" und diese ganze Wut gleich wieder hochkommt. Gerade bei Sachen aus meiner frühen Kindheit geht das. Musik, die wir begeistert gehört haben. Witze, Geschichten, Späße. Dass sein Bart gekratzt hat beim Kuscheln. Ich kann zurückblicken und weiß, dass er auch damals nicht unbedingt ein guter Vater war, wahrscheinlich eigentlich keine Ahnung hatte, was er tut. Bestimmt ist er auch damals schon Auto gefahren, obwohl er viel zu müde war und ständig kurz vorm Einschlafen war. Und er hat auch damals schon nur das gemacht, wozu er Lust hatte. Aber zu diesen Gedanken kommen keine negativen Gefühle, keine Wut. Hauptsächlich ist da mein kindliches "Papa ist lustig! Und toll!"
Und dann kommt das, wo ich älter war. Und sein Bild anfängt zu bröckeln. So etwas wie "irgendwann werd ich erwachsen sein und mich auch als Erwachsene toll mit meinem Vater verstehen und das wird schön sein" - da müsste ich 8 Jahre, vielleicht etwas jünger, vielleicht etwas älter gewesen sein. Mit 13 Jahren fing dann ja schon das ganze Verstehen und Wissen an. Dass Mama es als Fehler betrachtete, ihn geheiratet zu haben. Dass es die Ehe meiner Eltern noch beschissener war, als ich es ohnehin schon mitgekriegt hatte, und dass das zu großen Teilen sein Verdienst war. Und bei diesen Erinnerungen kommt dann die Wut. Weil die damals auch schon da war und meine heutige Wut der Wut von damals nur die Hand reichen muss. Und dann ist "Papa" auf einmal nicht mehr lustig und toll. Dann bin ich wütend. Weil er beim Gute-Nacht-Geschichten erzählen einschlief. Weil er lieber am Computer saß, als mit uns einen Film zu gucken, zum Beispiel. Weil er es allen Ernstes wagte, uns zu sagen, wir sollten unser Zimmer aufräumen (Schwester Nr.1 irgendwann: "Räum du doch erstmal deins auf.") oder uns nicht so von der Familie abkapseln ("Maria, iss doch auch mal mit uns Abendbrot." "Mal? Du bist doch derjenige, der nie dabei ist, wenn wir essen!"). Weil er nicht diskutieren konnte und seine Meinung immer der Weisheit letzter Schluss war. Weil er unsensibel war. Weil er Musik kritisierte, die ich gerne hörte. Weil er sich über meine Meerschweinchen lustig machte. Weil er hin und wieder glaubte, er hätte Autorität - Himmel, wie das nervte. Weil wir bei nächtlichen Autobahnfahrten neben ihm saßen und seine Augen überwachten und aufpassten, dass er nicht zu langsam blinzelte beziehungsweise sogar einschlief. Weil ihm meine Sorge wegen seines Rauchens egal war, als ich 6 Jahre alt war, als ich 11 Jahre alt war und weinte ("Maria hat geheult wie ein Schlosshund!"), und als er Diabetes bekam, was in Kombination mit Nikotinkonsum eine großartige Chance auf einen Schlaganfall ergibt.
Hallo "Papa".
Ich möchte so gerne, dass du aus deiner kranken Welt rauskommst. Und gesund wirst, und erkennst, was du verändern musst, damit du der werden und sein kannst, der du schon längst sein solltest. Und ich hoffe das, weil ich mir für dich wünsche, dass du mit deinem Leben klar kommst und glücklicher wirst, als du es jetzt bist und weil ich gerne hätte, dass wir zumindest miteinander klarkommen können, wenn du mir auch nicht mehr der Vater sein kannst, der du mir hättest sein sollen.
Und ich hoffe, dass du endlich verstehst, damit du siehst, wie sehr du verkackt hast. Damit du fühlst, wie scheiße es mir ging und geht und auch immer wieder gehen wird. Ich hoffe, dass dir die Erkenntnis deines Versagens so weh tut, dass du halb wahnsinnig wirst, so wie ich, wenn ich meinen Kopf gegen den Boden schlage, weil das das einzige ist, was ein kleines Gefühl von Erleichterung schafft und weil ich mich für Sekundenbruchteile ganz und ungeteilt fühle. Ich will, dass du stundenlang weinst, weil es dir so leid tut, deinen Kindern das angetan zu haben. Und weil du endlich verstehst, dass wir gute Gründe haben, uns eine nach der anderen von dir abzuwenden, und dass du für diese Gründe gesorgt hast.
Ja, ich will, dass du verstehst, einfach nur, damit dir das alles richtig scheiße weh tun kann. Gleiches Recht für alle.
Und ja, irgendwann werde ich diese Wut gehen lassen (müssen). Aber jetzt noch nicht.